2010
Mein kleiner Zeh war ein Wort
Es spielen
Elisabeth Bohde, Torsten Schütte, Bele Wollesen (Stimme aus dem Off)
Text
Yoko Tawada
Komposition
Matthias Kaul
Bühnenbild
Roy Spahn
Kostüme
Gesine Hansen
Premierendatum, -ort
Juni 2010 in der Theaterwerkstatt Pilkentafel
Vorstellungsdauer
50 Minuten
Vorstellungszeitraum
2010-2018
Zahl der Vorstellungen
48
Fakten
Da die Theaterwerkstatt mit ,Mein kleiner Zeh war ein Wort’ aufgrund des aufwendigen Bühnenbildes und des ausgefeilten Lichtkonzepts auf gut ausgestattete Theaterräume angewiesen ist, entwickelt sie schließlich ein auf diese Arbeit aufbauendes Klassenzimmerstück, das sehr viel unaufwändiger ist. Wegen einer Sonderregelung mit Yoko Tawada, die der Theaterwerkstatt uneingeschränkte Nutzungsrechte an dem Text einräumt, kann daraus die Arbeit „A wie anders“ entstehen.
Die Klassenzimmer-Variante: A wie Anders
Die für die Theaterwerkstatt Pilkentafel typische Herangehensweise an Inszenierungen für junges Publikum prägt auch diese Produktion: Im Vordergrund steht die Kommunikation, die Auseinandersetzung, nicht das Erzählen einer stringenten Geschichte.
Stefanie Oeding geht in ihrer Kritik auf die Entstehungsgeschichte ein: „Das Bühnenbild von Roy Spahn ist mit Elementen der Kunst und Natur gestaltet und lässt leere Fläche. So spielen die Schauspieler vor einem großen gemalten Wolkenhimmel und fischen Papierschiffchen mit Buchstabenfracht aus dem dunklen Wasser. Die Mischung aus Naivität, Verwunderung und spielerischem Entdecken bietet eine Fülle von Möglichkeiten, mit Kindern zu kommunizieren.“
Auch auf die Entstehung der Produktion geht Stefanie Oeding in ihrer Rezension ein: „Grundlage der aktuellen Inszenierung … ist ein Text der renommierten Autorin Yoko Tawada, …. Und sie gewann damit auch gleich ein Stipendium des ,Kinder- und Jugendtheaterzentrums’ in Frankfurt. Eine Voraussetzung hierfür war die Zusammenarbeit mit Kindern. Schüler wurden in die Entstehung der Aufführung mit einbezogen. So sind im Foyer des kleinen Theaters Objekte der dritten Grundschulklasse Glücksburg ausgestellt....".
Kommunikation mit Kindern
Langer Trailer
Sowohl bei der Inszenierung des Romans ,Opium und für Ovid’ (2001) als auch bei der Produktion ,Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt’ inszeniert von Johanna Stapelfeldt (2008) hatte es Begegnungen zwischen Yoko Tawada und der Theaterwerkstatt Pilkentafel gegeben. ,Mein kleiner Zeh war ein Wort’ entsteht auf Impuls der Theaterwerkstatt: „Wir erfragten kein Stück, sondern ausschließlich Dialoge.“ Zu jedem Buchstaben des Alphabets entwickelt die Autorin eine Szene, meistens einen kurzen Dialog, manchmal nur ein Wort als Impuls. Als "ein Wort- und Buchstabenspiel randvoll mit Witz und Geheimnissen des sprudelnden alltäglichen Lebens“ bezeichnet Stefanie Oeding die Produktion in ihrer Kritik vom 21.06.2010 im Flensburger Tageblatt.
Begegnung mit Yoko Tawada
Der Bühnenbildner Roy Spahn schafft die eindrückliche Kulisse eines fliegendes Himmels: „Das war ein gigantisch geiles Bühnenbild. Ein Bühnenbild in einer Welt, die weg ist.“ ,“ schwärmt Elisabeth. Sowohl sie als auch Torsten tragen schwarz-blaue Kostüme (Gesine Hansen), die vom Schnitt her sehr schlicht gehalten sind. Den Hintergrund bildet ein großes Gemälde von Roy Spahn, das einen blauen Himmel mit einzelnen weißen Wolken zeigt. Im Laufe der Inszenierung wird das Gemälde durch Buchstaben, Zeichen und Objekte mit Buchstaben ergänzt. Hinter dem Gemälde stehen Spiegel und verlängern den Boden in eine Endlosigkeit.
Davor bewegen sich die Spieler:innen auf einer schwarzen Spielfläche, auf der zwei blaue Streifen Tanzboden liegen, wie die Stege im japanischen No Theater. Rechts befindet sich ein Wasserbecken, in dem sich der Himmel zusätzlich spiegelt.
Wichtigste Requisiten sind die Buchstaben, die in verschiedenster Form, Farbe und Größe auftauchen.
Weite im Raum
Plakat
Frankfurter Autorenforum für Kinder- und Jugendtheater
In der oben genannten Kritik wird Henning Fangauf zitiert, der als Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums Frankfurt die Einladung der Inszenierung zum Autorenforum unterstützt: „Die Pilkentafel hat einen herausragenden künstlerischen Zugriff. Sie geht Wagnisse ein, mit Mitteln des Theaters anders auf die Welt zu schauen.“
Auftritt bei den Mülheimer Theatertagen
Die Inszenierung wird zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Nachdem sich der verantwortliche Techniker kurz zuvor verletzt hat, muss kurzfristig eine andere Mitarbeiterin einspringen. „Qualitativ konnten wir hier mithalten, aber wir hatten nicht das Personal, das organisatorisch-technisch gut zu begleiten“, begründet Elisabeth ihren Eindruck, bei diesem Gastspiel eher gescheitert zu sein.
Gastspiele
Fotos
In der Inszenierung für Kinder begegnen wir Vater, Mutter und Kind (als Stimme), die sich eine neue Welt aus Sprache bauen, nachdem ihr Haus verschwunden ist. In engem Wechselspiel von Musik, Bewegung und Gesten wird eine Sprache über den Körper erfunden, die in Form der Körperlichkeit auch Eindrücke der Indienreise 2001 verarbeitet, auf der die Theaterwerkstatt viel mit klassischen Formen des indischen Tanzes in Kontakt kamgekommen war. Die Tänzer:innen verfügen hier über eine wortlose Sprache, die über kodierte Bewegungen des Körpers, der Hände und die Mimik entsteht und der Mimik. „In ‚„Mein kleiner Zeh war ein Wort‘“ arbeiteten wir mit einer Art Gebärdensprache, die behauptet hat, dass sie kodiert ist, obwohl sie gar nichts meinte.“ (Elisabeth Bohde)
Die Sprache − eine Welt für sich
Yoko Tawada ist eine ungewöhnliche Autorin, die ungewöhnliche Texte schreibt. Die Japanerin kam 1982 nach Deutschland und schreibt schon lange auf Deutsch, ohne sich je an die deutsche Sprache gewöhnt zu haben. Beim Schreiben scheint sie sich über die Sprache zu wundern, die so wunderbar wird! Und sie lädt ein, uns über unsere Gewohnheiten zu wundern, sie neu zu sehen und zu hören. ‚„Mein kleiner Zeh war ein Wort‘“ erzählt keine Geschichte, sondern zu jedem Buchstaben des Alphabets gibt es ein Wort, einen Text, eine Szene. Und so wird das Theaterstück ein Spiel mit Buchstaben und Wörtern. Es geht in dem Stück um den Verlust der Arbeit, der Wohnung, des Wohnens: „Du hast schon gehört, ja, es ist wirklich ungewöhnlich, dass das Haus verschwunden ist. Aber uns geht es erstaunlich gut und unser Kind scheint besonders glücklich zu sein.“
Und so richtet sich die Familie neu in einer Welt aus Sprache ein, baut sich ein Haus aus Buchstaben, ist befreit von den Gewohnheiten und dem Gewöhnlichen, kann sich nun den wichtigen Fragen stellen: Ob Wasser in dem Wort Dusche läuft? Warum man Zeh nicht C schreibt? Wie man das Loch im Himmel zu näht? Wie der Gast ein Haus betritt, wenn keine Tür da ist? Ob man auch ohne Lust lernen kann und ob der Adler lieber ein Hase wäre? …Der Text behandelt dies alles mit Leichtigkeit – auch die Abgründe –-, ist konkret und zugleich philosophisch, lässt den Gedanken der Zuschauer Raum, sperrt keine Bedeutung in den Wörtern ein. Kurz: es ist ein Spiel.
In der Ankündigung heißt es:
Das Stück und die Inszenierung sind im Rahmen von „Nah dran! Neue Stücke für das Kindertheater“, ein Kooperationsprojekt des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland (KJTZ) und des Deutschen Literaturfonds e.V. mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes gefördert worden.