1992
An der Grenze
Es spielen
Torsten Schütte, Angelika Warning, Bernd Carstens / Ralf Knicker
Regie
Elisabeth Bohde
Musik:
Matthias Kaul
Bühnenbild+Kostüme
Ensemble
Premierendatum, -ort
Juli 1993 im Volksbad Flensburg
Vorstellungsdauer
90 Minuten
Vorstellungszeitraum
1993-1994
Zahl der Vorstellungen
30
Fakten
„Sobald wir technisch aufwendiger wurden, lohnten sich Gastspiele nicht mehr. Vor allem die Veranstaltungsorte fielen weg, aber es gab in dieser Zeit bei den Veranstaltern eh eine Hinwendung zu Konzerten, weg vom Theater.“
Zitat
„Ein Theaterstück über die tote Sprache der Politik, die in unterschiedlichsten Varianten – von der Redeschlacht bis zum Duell – vorgeführt wird, bis sie zerfällt“, heißt es auf der Homepage der Theaterwerkstatt Pilkentafel. Nach Eine Partei stellt sich vor (1990) vertieft sich Elisabeth mit dieser Arbeit erneut in politische Zusammenhänge und entwickelt − aufbauend auf umfassender Recherche − eine Textcollage, die die Verlogenheit und Oberflächlichkeit der Polit-Elite Deutschlands anprangert.
Die Entlarvung politischer Phrasen
Als ein „absurd-dokumentarisches Theater“ bezeichnet die Kritik (Gaby Sohl, Stadtblatt 28, Bielefeld, 08.07.93) die Produktion. Das dokumentarische Material entlarvt durch seine Anordnung Worthülsen und Politiker:innen. Die Inszenierung lenkt den Blick damit auf unbequeme Wahrheiten. Gleichzeit schafft die Theaterwerkstatt Pilkentafel einen Erfahrungsraum, der das Publikum aus seiner ‘Komfortzone‘ holt und zum Handeln anregt - durch die präzise und differenzierende Auseinandersetzung mit den Redetexten sowie durch das ausgefeilte Sprechen und die daraus resultierende Durchdringung der Worte und des (fehlenden) Inhalts.
„Die bis an die Grenze der Erträglichkeit wiederholten Sätze über den ‘Scheideweg der Entwicklung in unserem Lande‘ spannen die Nerven auf eine ‘grenzenlose‘ Folter. … Was sonst nur nach 10 Stunden ununterbrochenem Fernsehkonsum erreicht würde, … ist hier schon nach 1,5 Stunden erreicht: Man möchte ihnen den Hals umdrehen, den Politikern. … kein Kompromiss mit der Sprachwirklichkeit wurde eingegangen, sie wurde konsequent auf die Spitze getrieben. In der Verfremdung entlarvt als Werkzeug der Macht.“ (ebenda)
Einordnung
Fotos
Wenn die Sprache verkommt
Kreisend um die Asyldebatte anlässlich des Bosnienkrieges entwickelt Elisabeth Bohde eine Textcollage aus Bundestagsreden zu diesem Thema. Drei Spieler als „Politiker von der Stange“ starten immer neue Verhandlungsrunden, jeweils variiert durch verschiedene Anordnung der Texte, gefolgt von einer Pressekonferenz und anschließender Choreografie. Elementar ist dabei der Umgang mit der Sprache, die präzise eingesetzt und moduliert wird und durch verschiedene Rhythmen unterschiedlichen Interpretationen Raum gibt.
„Worthülsen, wahllos aneinandergereiht wie Glasperlen auf einer Schnur. Einzige Gemeinsamkeit: Sie alle enthalten das Wort Grenze. … Aus dunklen Augen in aschfahlen Gesichtern kalt ins Leere starrend, halten sie (Anmerk.: gemeint sind die Sprecher) ihre beziehungslosen monotonen Reden; gegeneinander, durcheinander und für sich. Unfähig, aufeinander einzugehen, ist jeder bestrebt zu sprechen, ohne etwas auszusagen. Sprache verkommt zu einer Hülle, deren Inhalt längst verloren ist. …Die Thematik der Asyldebatte im Deutschen Bundestag wurde zum Inhalt, die Reden daraus in immer neuer Betonung und Akzentuierung formuliert, dienten als Mittel zum Ausdruck“, schreibt Michaela Heinze in ihrer Kritik in der Neuen Westfälischen Zeitung am 08.07.1993.
„In der Zeit nach dem Fall der deutsch-deutschen Grenze und der Asylrechtsdebatte montierte Regisseurin Elisabeth Bohde im Deutschen Bundestag tatsächlich gesprochene Sätze, die alle das Wort Grenze oder Abkömmlinge davon enthalten, zu einem ‘Real-Dada‘.“ (Gaby Sohl, Stadtblatt 28, Bielefeld, 08.07.93)
Umsetzung
Die Schauspieler tragen lackierte Anzüge mit einem Kleiderbügel in der Nackenpartie, so dass sie sich zu den, das Bühnenbild prägenden ebenfalls lackierten starren Anzügen am Bühnenrand hängen können. Sie bewegen sich auf einem Bodenbelag, der Fotos von Geflüchteten zeigt.
Neben den starren Anzügen, die die Bühnenfläche seitlich und hinten einrahmen und dem Bodenbelag mit Fotos von Geflüchteten prägen hohe Tische den Raum, die in Tangram-Muster gestaltet sind und eine Vielzahl von Anordnungen ermöglichen. Sowohl diese Anordnung (von der Theaterkritikerin Gaby Sohl als Raumskulptur bezeichnet, Quelle s.u.) als auch die Kostüme regen Assoziationen an und stehen als Metaphern (Politiker von der Stange / Berührungsängste mit und Herumtrampeln auf den Bildern der Geflüchteten).