1999
Lucky hat gesagt
Es spielt
Torsten Schütte
Text und Regie
Elisabeth Bohde
Bühnenbild+Kostüme
Ensemble
Premierendatum, -ort
09.09.1999 in der Theaterwerkstatt Pilkentafel
Vorstellungsdauer
1h30
Vorstellungszeitraum
1999-2004
Zahl der Vorstellungen
51
Fakten
Aus Tagebucheinträgen, die während der Reise durch Zimbabwe entstanden sind, destilliert Elisabeth Bohde Passagen, die zur Grundlage ihres Textes werden. „Ich habe mich klar für einen Sprachstil entschieden“, sagt sie und beschreibt, wie konstruktiv die Zusammenarbeit mit Torsten war, der im Wechselspiel den geschriebenen Text überprüfte und reflektierte. „Ich hatte vorher eine Partitur mit positiven und negativen Ausschlägen gezeichnet und darin unsere Erfahrungen zugeordnet“, schildert Elisabeth Bohde den Entwicklungsprozess.
„Diese Reise war eine unglaubliche Bereicherung, aber auch eine unglaubliche Überforderung. Sie hat unseren eurozentristischen Blick entlarvt, wir waren auf einmal nicht mehr ,normal’ in unserem Verhalten.“ Mit ,Lucky hat gesagt’ reproduziert Elisabeth Bohde daher auch absichtlich Klischees, wobei die eigene Erfahrung Grundvoraussetzung für das Spiel von Torsten Schütte wird.
Entstehung
Insgesamt fünfmal reisen Elisabeth Bohde und Torsten Schütte nach Südafrika, oft begleitet von Matthias Kaul und ihren Kindern, die für diese Reisen teilweise auch von der Schule befreit werden. Mehrfach muss die gefährlichste und kriminellste Grenze Südafrikas überquert werden. „Diese Reisen führten zu einem enormen Zusammenwachsen mit Matthias, es entstand eine tiefe Verbundenheit.“ (Elisabeth Bohde).
Gemeinsamer Erfahrungsschatz
„Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich vor allem auf die Reisen nicht verzichten wollen.“
Prägende Erfahrungen
Die Inszenierung ,Lucky hat gesagt’ ist Resultat mehrerer Reisen von Elisabeth Bohde, Torsten Schütte und Matthias Kaul nach Süd-Afrika und befragt kritisch den Umgang von Westeuropäer:innen mit "dem Fremden“. Die Zuschauer:innen werden Teilnehmende eines Workshops, in dessen Kontext ein begeisterter Afrika-Fan die Weisheiten seines afrikanischen Lehrers Lucky weitergibt und lehrt und sich damit nach und nach selbst entblößt: Die „Schilderungen des Fremden liegen zwischen Idealisierung, pauschalem Urteil und vernichtendem Rassismus.“ (Thorsten Carstensen, Flensburger Tageblatt, 10.08.1999). „Was der Schauspieler Torsten Schütte auf die Bühne bringt, ist ein Ausflug in die öde Provinz der deutschen Seele. Ein politisch korrekter Deutscher, multi-kulti engagiert, begeistert von allem, was ‚fremd‘ ist, begibt sich auf diesen Trip und nimmt das Publikum mit.“ (Esther Geißlinger, Husumer Nachrichten, 04.10.1999).
Afrika-Fans aufgepasst
,Lucky hat gesagt’ bricht die klassische Guckkasten-Situation des Theaters auf und konfrontiert das Publikum - aufbauend auf den soziologischen Feldversuchen aus dem Studium von Elisabeth Bohde - durch eine entsprechende Einbeziehung mit den eigenen Vorurteilen und Unsicherheiten.
"Die Stühle für das Publikum sind im weiten Halbkreis angeordnet, das Blickfeld ausgerichtet auf eine 2m hohe und 3m breite bemalte Leinwand. Ein trommelnder Afrikaner mit beschwörend erhobenen Händen vor Rundhütten, ein tanzender Medizinmann mit Ritualstab als dunkle Umrisszeichnung im Stil afrikanischer Felsmalerei darauf als Chiffren des ,schwarzen’ Kontinents.“ (Gottfried Köppl, Flensburger Tageblatt, 29.09.1999). Das Publikum betritt einen Raum, der grade noch hergerichtet wird, Torsten Schütte als Workshopleiter, vertröstet die Ankommenden „Just 2 Minutes…“, lässt weiter warten und beginnt schließlich mit nacktem Oberkörper und nur mit Lendenschurz bekleidet seinen Vortrag. „Bei der Demonstration des ,richtigen Afrikas’, bei der die Zuschauer zum Mitsingen und zu afrikanischen Begrüßungsritualen aufgefordert werden, stürzt der politisch völlig unkorrekte Workshop-Leiter die Zuschauer in ein Wechselbad…“ (om, Flensburger Tageblatt, 23.06.1999).
Zuschauende in neuen Rollen
Lucky lehrt 'Langa La Puma'
Mit der Produktion ,Waschtag’ ist die Theaterwerkstatt Pilkentafel in die USA eingeladen und spielt auf verschiedenen Kindertheaterfestivals. Dort treffen sie auf die simbabwische Gesangsgruppe „Black Umfolosi“ und verabreden gegenseitige Einladungen. Gefördert vom Goethe-Institut gelingt schließlich eine Tournee mit ,Ist ja nur Pappe’ durch Simbabwe. 5 Wochen reisen Elisabeth, Torsten und Matthias Kaul durch das Land und „können die eigenen emotionalen Wechsel, die eigenen rassistischen Ausbrüche“ (Elisabeth) beieinander beobachten. Gleichzeitig erforschen sie die völlig anderen Kommunikations- und Sehgewohnheiten durch die Publikumsreaktionen auf ,Ist ja nur Pappe’.
Hintergrund
Inszenierungsbilder
„Dieser folkloristische Blick auf Afrika brachte uns schließlich dazu, das Stück nicht mehr zu spielen. Wir stellten fest, dass wir etwas spielten, was es so irgendwann nicht mehr gab.“
Ein Kind seiner Zeit
Elisabeth Bohde sagt, sie sei mit ,Lucky hat gesagt’ das erste Mal „so richtig als Autorin aufgetreten“. Sie hat den Abend so konzipiert, dass Widersprüche und Verunsicherungen mehr und mehr Raum greifen.
Pressestimmen
„…Afrika spielt eben nicht die Hauptrolle, ist nur ein Platzhalter: Für‘s Fremdsein und bloße Andersseins und die Erkenntnis, dass manch eine kulturelle Schranke nicht wegdiskutiert oder verniedlicht werden kann, sondern als solche im Raum stehen bleiben muss. … Wie Torsten Schütte quasi mit links die Erzählebenen wechselt, provoziert, versöhnt, und sein junges Publikum in einen Kokon aus Rhythmus, Tanz und Gesang verstrickt, ist eine Schau: nicht verpassen.“ (Michaela Adick, Heilbronner Stimme, 16.03.2001).
„In einem aggressiven Pointenfeuerwerk - z. T. in direktem Anspiel des Publikums - nutzt Schütte alle Mittel der paradoxen Intervention und führt so vor, wie Leichtigkeit, genaues Timing und inhaltliches Anliegen, die Auseinandersetzung mit Vorurteilen, eine intensive Verbindung eingehen können.“ (Manfred Jahnke, „Fundevogel“ Kritisches Kinder-Medien-Magazin, Ausgabe September – Dezember 2000).