2014

Vom Reisen in ehemaligen Kolonien

Eine Positionsbestimmung



Von und mit

Elisabeth Bohde, Torsten Schütte

Komposition

Matthias Kaul

Bühnenbild

Johannes Caspersen

Kostüme

Gesine Hansen

Förderung

Gefördert vom Fonds Darstellende Künste und der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung.

Premierendatum, -ort

21.11.2014 in der Theaterwerkstatt Pilkentafel

Vorstellungsdauer

1h30

Vorstellungszeitraum

Seit 2014

Zahl der Vorstellungen

25

Fakten

Musik ,gesture'

In ihrer Kritik vom 24.11.14 im Flensburger Tageblatt schreibt Stefanie Oeding: „Wenn sich Torsten Schütte als sonnenbebrillter Globalanalyst mit Elisabeth Bohde als buntgekleidete Touristmanagerin auf einen Mangodrink trifft, bleibt einem das Lachen im Halse stecken: Die beiden Schauspieler versteigen sich lebensnah in zeitgemäß zynische Visionen vom Massentourismus auf den ehemaligen Kolonien oder auch in Flensburg: Kreuzschiffe als schwimmende geschichtliche Sklaven-Erlebnisräume unter dem Motto ,Auf den Spuren von Zucker und Rum’ inklusive eines musikalischen Empfangs der Gruppe Santiano am Flensburger Hafen: Handfeste Kritik an einem verharmlosenden Umgang mit dem Thema Kolonialgeschichte in der Stadt Flensburg, wo niemand am Sklavenhandel verdient haben will, sondern nur am Rum- und Zuckerhandel. Die Theaterwerkstatt Pilkentafel hat wieder einmal genaue Blicke auf die städtischen Mythen der Geschichte geworfen und sie in einen globalen Zusammenhang gestellt. …“

Scheinheiligkeit entlarven

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Spielplan

„Das haben sehr viele Leute gesehen und in gewisser Art begann damit die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus in Flensburg,“ erinnert sich Torsten. „Das hat uns ein ganz neues Netzwerk eröffnet, mit dem wir auch heute noch sehr verbunden sind,“ ergänzt Elisabeth und verweist auf den „Postkolonialen Arbeitskreis“, der durch die Inszenierung entsteht und in dem Elisabeth bis heute aktiv ist.

Nachhaltiger Eindruck

“So, wie mir vor ,Westliche Höhe‘ das Ausmaß der Nazivergangenheit Flensburgs nicht bewusst war, so war es auch mit der Kolonialgeschichte Flensburgs“, erinnert sich Elisabeth Bohde. Und spricht damit sicherlich nicht nur für sich.

,Vom Reisen in ehemalige Kolonien’ ist die erste größere Produktion, die das Flensburger Publikum explizit mit der eigenen Kolonialgeschichte konfrontiert.
2012 hatte die Theaterwerkstatt Pilkentafel ihre Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Flensburgs mit der Performance ,A Gesture to Find’ begonnen.
Mit ,Westliche Höhe’ (2008) und in gewisser Weise auch mit ,trümmer.feld.erinnerung’ (2008) war das Theater den Verstrickungen der Stadt mit den Nazis nachgegangen. Im Rahmen der Produktion ,Der Geist der Schlacht’ (2014) hatten sich Elisabeth Bohde und Torsten Schütte kritisch mit dem Konstrukt von Nationalstaaten auseinander gesetzt.

Für ihre Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und deren künstlerische Umsetzung erhält die Theaterwerkstatt im Jahre 2019 den ,Theaterpreis des Bundes', der seit 2015 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien verliehen wird.

Sich der Vergangenheit stellen

Die Inszenierung spielt mit diversen unterschiedlichen Stilmitteln und kreist dabei um die Ratlosigkeit angesichts der Komplexität des Themas.
Wie auch in den anderen Produktionen, die sich als Dokumentarisches Theater einordnen lassen, wird ein fiktiver Handlungsstrang (der Elisabeth und Torsten wie in der Kritik beschrieben als Tourismusentwickler:innen zeigt) durch zahlreiche und zumeist solistische Szenen ergänzt, die recherchiertes Material plastisch werden lassen. „Die Mittel und Formen sind so unterschiedlich wie die Erfahrungen − es gibt Objekte und Choreographien, Musik und Film, Poesie und Information, gespielte Figuren und „Wahrhaftiges“, organische Entwicklungen und abrupte Abbrüche,“ heißt es in der Ankündigung.

In der Begründung für die Verleihung des ,Theaterpreises des Bundes’ wird die Spielhaltung von Elisabeth und Torsten hervorgehoben, die den Vorgang der Selbstbefragung und nicht das angesammelte Wissen in den Fokus stellt.

Neben die Szenen zwischen den Tourismusentwickler:innen hat die Theaterwerkstatt eine Collage weiterer Szenen gesetzt, die auf sehr unterschiedliche Weise ihre Recherche plastisch werden lassen. Auch gibt es sehr persönliche Momente, in denen die Spielerin und der Spieler die Figurenebene verlassen und sich fragen, wie sie auf das vorhandene Wissen adäquat reagieren können.

Recherchiertes Material

Das Plakat

In viele Szenen sind die realen Reiseeindrücke des Ensembles verwoben, andere gehen von historischen Dokumenten aus. So wird beispielsweise die Fahrt eines Sklavenbootes im Jahr 1788 mit einem kleinen Holzboot nachgestellt, währenddessen Erinnerungen an die Namibia-Reise geteilt werden: Elisabeth tritt zu Beginn in einem Kleid einer Hererofrau auf, um später auf die Geschichte von dessen Kauf sowie auf den Völkermord an den Herero 1904 bis 1908 einzugehen und zu erklären, was der Kauf dieses Kleides damit zu tun hat.

In stark rhythmisierten Textpassagen, die fast an Lieder erinnern, erläutert Torsten, wie Zucker angebaut, Rum hergestellt und Sklaven bestraft werden. Auch ein rassistischer Text wird als historisches Dokument zitiert.

Auf einer Plane wird der Dreieckshandel plastisch in Form eines Figurentheaters mit Playmobilfiguren erörtert. Elisabeth zeigt anhand einer aus Stoff genähten Insel, wie Kolumbus diese Insel entdeckte und 50 Jahre später die komplette Bevölkerung der Insel ausgelöscht ist.

In einer Szene sieht man nur die Köpfe der beiden Performer:innen über einer Abbildung der Virgin Islands schweben, und absurde, scheinheilige Argumente aus Debatten im ehemaligen England und Dänemark vorbringen, warum der Sklavenhandel nicht oder noch nicht abgeschafft werden kann. Am Ende zersägt Torsten mit der Kettensäge eine Afrikakarte.

Vielschichtigkeit und Komplexität

Bereits in dem Konzept für ,A Gesture to Find’ kündigt die Theaterwerkstatt eine Reise auf die Virgin Islands an, um sich selbst einen Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen und die Menschen zu interviewen, die in Videoportraits von Ulla Lunn zu Wort gekommen waren. Diese Videoportraits wurde in der Dauer-Ausstellung ,Rum, Zucker, Sklavererei’ im Schifffahrtsmuseum Flensburg gezeigt und waren Ausgangspunkt der Long-Duration-Performance ,A Gesture to Find’.

Die Eindrücke dieser Reise (sowie der nach Namibia im Jahr 2009) und eine wichtige Beobachtung sind Grundlage der oben genannten Performance und dieser Inszenierung: „Wir verstanden die Geschichte, wir haben die auch recherchiert, doch die eigentliche Frage, die uns beschäftigte, war: Wie begegne ich nun den Betroffenen, die noch heute im post-kolonialen Zustand leben,“ beschreibt Elisabeth Bohde die Suchbewegung. „Es wurde klar, dass der Zuckerhandel dort die Böden ruiniert hat, die Inseln nur noch vom Tourismus leben kann,“ führt sie aus.

In einem Ankündigungstext heißt es: „Diese Reisen waren Selbstversuche, wir hielten uns selbst als Lackmusstreifen in ein Konfliktfeld. Die Eindrücke waren disparat, manchmal trostlos, manchmal absurd, oft unerklärlich, hinterließen uns ratlos.“

Reiseeindrücke verarbeitet

Die herausfordernde Recherche und die Komplexität des Themas spiegeln sich im Bühnenbild: In dem anfangs leeren Bühnenraum sammeln sich nach und nach immer mehr Requisiten, Objekte der Annäherung, die das Chaos auf der Bühne immer größer werden lassen, statt für Klarheit und Ordnung zu sorgen. Die Ratlosigkeit nimmt eher zu als ab.

Zunehmende Ratlosigkeit

Ganzes Stück auf Vimeo

Neben der leeren Bühne und den Requisiten spielt das Inszenierungskonzept vor allem mit unterschiedlichen Lichtstimmungen. Jede Szene hat eine eigene, die auf einem sichtbaren Technikpult von den Performer:innen selbst angesteuert wird.
Zwischen den Szenen gibt es immer wieder ein „Arbeitslicht“, das den Verlauf unterbricht und es ermöglicht, die erhaltenden Informationen nachwirken zu lassen.

Einfaches Konzept

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Presse, Stücktext

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