1987
Die Tragödie
Es spielen
Vera Zimmermann, Torsten Schütte, Bernd Drews (Bass), Norbert Ellrich (Stimme, Gitarre), Elisabeth Bohde (Stimme)
Regie
Elisabeth Bohde
Bühnenbild+Kostüme
Ensemble
Premierendatum, -ort
November 1987, Turnhalle der Pädagogischen Hochschule Flensburg
Vorstellungsdauer
90 Minuten
Vorstellungszeitraum
1987
Zahl der Vorstellungen
15
Fakten
Nachdem Elisabeth Bohde in Allein mit Ophelia und Wir werden uns leidenschaftlich lieben weibliche Perspektiven ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt hat, widmet sich ‘Die Tragödie‘ dem männlichen Helden, allerdings erneut aus weiblicher Perspektive. Den enormen eigenen Anspruch an die eigene Arbeit beschreibt Elisabeth in Bezug auf diese Produktion mit den Worten: „Wir hatten irgendwie das Gefühl, dass wir dieses Rätsel, warum Männer Kriege führen, jetzt einfach mal lösen.“ Im Zentrum des Stückes steht das Machtverhältnis von Mann und Frau, beispielhaft verhandelt durch die Figuren ‘Der Held‘ (Torsten Schütte) und ‘Die Schauspielerin in der Rolle der Frau seines Lebens‘, gespielt von Vera Zimmermann. Die Inszenierung ist „vom Helden aus gebaut“, (Elisabeth Bohde) und untersucht auch die Frage, inwiefern Frauen durch ihre Bewunderung die Gewalt der Männer unterstützen.
Nie wieder Krieg
Zusammenarbeit mit dem Roy Hart Theatre
Die über vier Monate andauernde Arbeit an ‘Die Tragödie‘ bestand aus Improvisationen, praktischen Erforschungen der Beziehungen zwischen Bewegung, Stimme und Musik (u.a. in Zusammenarbeit mit Enrique Pardo vom Roy Hart Theatre), vor allem auf Grundlage der Beschäftigung mit Figuren der griechischen Mythologie. Die gründliche Erforschung der Zusammenhänge von Bewegung und Musik ist in gewisser Weise auch als eine Art Selbst-Ausbildung von Torsten Schütte zu verstehen, der sich in dieser Zeit für einen Weg am, mit und für das Theater entscheidet.
Hintergrund
Der Hintergrund der Bühne besteht aus einer großen Leinwand mit einer abstrakten Malerei von Marianne Gymnopoulos. Ein fahrbares Podest kann an verschiedenen Stellen der Bühne positioniert werden und bietet somit wiederholt erhabene Spielorte. Auf dieser Spielfläche entstehen energetisch hoch aufgeladene Bilder, es wird vor allem der männliche Körper in seiner Kraft und heroischen Ausstrahlung untersucht und präsentiert. Neben minimalistisch bewegten Standbildern und choreografischen Elementen gibt es eine Textebene, „eine ziemlich wüste Montage“ (Elisabeth Bohde) literarischer Vorlagen, die sowohl aus dem Off als auch auf der Bühne gesprochen werden. „Alles was für uns eine große Intensität hatte, war drin“, reflektiert Elisabeth Bohde im Nachhinein die Textcollage von Kleist bis Heiner Müller.
Umsetzung
Neben den Schauspieler:innen sind der Kontrabassist Bernd Drews und der Gitarrist Norbert Ellrich zu sehen, die das Spiel flankieren. Neben Liedern produziert Bernd Drews mit seinem Bass vor allem Töne und Klänge, die den Raum zum Vibrieren bringen. Die energiegeladene Darstellung des Körpers, die „Skulptur der Muskeln“ (Torsten Schütte) wird auf diese Weise weiter aufgeladen.
Erstmals ist die Theaterwerkstatt Pilkentafel im Besitz weniger eigener Scheinwerfer und entwickelt mit „dem Ansatz einer eigenen Lichtanlage“ (Torsten Schütte) ein Lichtkonzept, durch das einzelne Punkte im Raum besonders hervorgehoben werden und das ansonsten viel Dunkelheit beinhaltet.
In der Reflexion dieser Arbeit betonen Elisabeth und Torsten in erster Linie die pathetische und überfrachtete Umsetzung. „Rückblickend war das eine Matsche von persönlichen Gefühlen. … Irgendwas war komplett größenwahnsinnig.“ (Elisabeth Bohde)
Vibration im Raum
Flyer
Fotos
Die Entstehung der ‘Tragödie‘ ist geprägt von gesellschaftspolitischem Sendungsbewusstsein und der stark empfundenen Notwendigkeit, ein anderes Verhältnis zur Welt zu entwickeln. Diese aufklärerische Haltung und der enorme Anspruch, Zusammenhänge in all ihrer Komplexität zu durchdringen, um Grundlagen für ein besseres Leben für Alle zu schaffen, münden in dieser Arbeit in einer großen Ernsthaftigkeit und wird im Nachhinein von Elisabeth sehr kritisch eingeordnet. „Das (enorme Sendungsbewusstsein) hat uns in den späteren 80er Jahren das Genick gebrochen", sagt sie. „Es war so ein Gefühl, dass die ganze Stadt die Luft anhalten müsste, weil wir Premiere haben“ oder: „An der Tragödie war auch gar nichts mehr lustig. Mit der Titanic haben wir dazu zurückgefunden.“
In der Welt sein
Das Studium in Aix-en-Provence und die parallele Tanzerfahrung bei Odile Duboc schwingen in dieser Arbeit in Form eines sehr präzisen Umgangs und Einsatzes des (männlichen) Körpers mit. „Das war das Maximum an Präsenz und Konzentration“, erinnert sich Torsten Schütte. Die Theaterwerkstatt Pilkentafel setzt mit dieser Arbeit auch die eigene Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen fort: Die Kraft des männlichen Helden, von Torsten Schütte dargestellt, steht auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben, so Elisabeth und Torsten im Gespräch, eine große Vorsicht dieser großen Energie gegenüber und ein Forschungsinteresse den Entstehungsprozess begleitet. „Uns hat die Frage bewegt, inwiefern sich ein Revolutionär/ein Held eignet, um eine neue Gesellschaft aufzubauen, wenn er doch zuvor gewisse Gewalt ausgeübt hat“, sagt Elisabeth und verweist auf Brecht und Heiner Müller.
Der Körper
Durch die Inszenierung werden verschiedene Dinge klar, die Auswirkungen auf die künftige Regiearbeit von Elisabeth haben: Vor allem, dass der immense Anspruch an Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Offenheit eine Behauptung bleibt und dass es „das ganz Ehrliche nicht gibt und man immer im Moment handelt.“ Kurz nach der Premiere werden Verstrickungen innerhalb des Ensembles deutlich, die schließlich zur Absetzung der Inszenierung führen. In Folge auf diese Erkenntnis nimmt die technische Umsetzung einen größeren Stellenwert ein, auch der Umgang mit Spieler:innen wird ein anderer: „Danach war klar, dass Gäste, die in eine Produktion kommen, Gäste sind. Das hatte eine andere emotionale Verbindung zur Folge und fühlte sich lange wie Betrug an.“ (Dieser Aussage liegt sicherlich auch die große Sehnsucht von Elisabeth zugrunde, die gerade in den 80er Jahren eher auf der Suche nach einer kollektiven Arbeitsstruktur ist.)