1997

Keinem bleibt seine Gestalt

Eine Leseweise des Romans 'Die letzte Welt' von Christoph Ransmayr


Es spielt

Torsten Schütte

Textbearbeitung und Regie

Elisabeth Bohde

Komposition

Matthias Kaul

Bühnenbild+ Kostüme

Ensemle, Wolf-Dieter Hans

Premierendatum, -ort

April 1997 in der Theaterwerkstatt Pilkentafel

Vorstellungsdauer

2h30

Vorstellungszeitraum

1997-2003

Zahl der Vorstellungen

25

Fakten

Bereits viele Jahre vor der Inszenierung fasziniert Elisabeth das Buch, in dem sie zahlreiche Themen aus der griechischen Mythologie wiedererkennt.

Die Zeit der Proben ist stark verwoben mit Elisabeths Situation als junge Mutter: Still- und Schlafzeit des gerade geborenen Sohns Anton bestimmen die Proben- und Arbeitsphasen. Außer Torsten und Matthias ist niemand sonst involviert. Beide erinnern diese Zeit als sehr intim.

Hintergrund

Als „die Erforschung von Machtprinzipien und Zensur“ (Elisabeth Bohde) oder ein „Gleichnis auf alle Diktaturen dieser Welt“ (dak, Flensburger Tageblatt, 11.04.1997) wird der diesem Abend zugrundeliegende Text ‚Die letzte Welt‘ von Christoph Ransmayr bezeichnet. Das Solo von Torsten Schütte setzt diese „sehr bildgewaltige mit wellenförmigem Rhythmus geschriebene Sprache“ (Elisabeth) in Szene:

„Christoph Ransmayr las die ‚Metamorphosen‘ des Ovid: Sie verwandelten sich in ‚Die letzte Welt‘. Torsten Schütte liest ‚Die letzte Welt‘: Beim Aussprechen verwandeln sich die Worte, es entsteht der Theaterabend ‚Keinem bleibt seine Gestalt‘“, heißt es in der Ankündigung.

Warum die Welt zugrunde geht

Steinmahlen

Die Theaterwerkstatt beschreibt das Inszenierungskonzept in der Ankündigung wie folgt: „Ausgangspunkt ist der Leser. Das Lesen verwandelt ihn in die Hauptfigur Cotta, der sich auf die Suche nach dem Text der Metamorphosen macht und dabei ihnen selbst begegnet. Die inneren und äußeren Landschaften dieser Welt werden von Matthias Kaul hörbar gemacht.“ 

Der Prozess, der Vorgang des Lesens, wird ins Zentrum der Zuschauererfahrung gerückt, wobei das sinnliche Erlebnis durch eine Kombination aus live gelesenen und performten Textpassagen, einer Soundinstallation und Hörspiel-Anteilen entsteht.

In einem dunklen Bühnensetting, in dem ein Tisch und ein Stuhl umgeben von Schrott und steifen Tüchern stehen, entfalten sich die Bilder des Textes. „Eine große Rolle spielen bei dieser Inszenierung von Elisabeth Bohde Musik (Matthias Kaul), Stimmen und Geräusche vom Band. Viele Szenen bestechen durch ihre Ruhe, durch die Schönheit des real gesehenen Bildes.“ (dak, Flensburger Tageblatt, 11.04.1997). Diese Bilder entstehen durch „eine extreme Sammlung von Dingen“ (Elisabeth), die - ausgelöst vom Lesevorgang - aus den steifen Tüchern hervorgeholt werden.

Neben einem Soundsystem, das das Publikum regelrecht in die Klangwelten eintauchen lässt, macht eine mit zwei DAT-Rekordern (Digital Audio Tape) und einem Mischpult live produzierte Quadrophonie die Inszenierung für die Theaterwerkstatt zu etwas Besonderem: „Das war das Aufwändigste, was wir technisch bis dahin gemacht hatten“, sagt Torsten Schütte und mit Blick auf die entstandene Atmosphäre ergänzt Elisabeth: „Der Ton ist fast ein bisschen hymnisch.“

Bilder des Textes sinnlich erfahrbar

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Stücktext

Den Vorgang des Lesens und die großen Themen der Menschheitsgeschichte hatte Elisabeth Bohde bereits in ihrem Solo ‚Klytaimnestra‘ (1990) unter die Lupe genommen. Auch bei weiteren Produktionen der Theaterwerkstatt, denen Literaturvorlagen zugrunde liegen, wird das Erschließen des Textes über den Lesevorgang sichtbar gemacht (z. B. Opium für Ovid, 2001).

Mit dieser Produktion setzt Elisabeth die intensive Erforschung sinnlicher Erfahrungswelten durch die Kombination von Theater und Soundinstallation bzw. Klangwelten fort. Die mittlerweile ausgefeiltere Technik ermöglicht eine noch größere Soundmächtigkeit als bei ,Klytaimnestra’, wobei die Inszenierung ansonsten als klare Vorgänger-Inszenierung genannt werden kann;

Auch in ‚Keinem bleibt seine Gestalt‘ sind Klang, Bühne und Spiel sehr fein miteinander verwoben, die gesamte Inszenierung hat einen gewissen Hörspiel-Charakter. „Das war eigentlich ein Solo, fühlte sich aber nicht wie ein Solo an, weil die Entstehung so engmaschig mit Matthias verwoben war“, erinnert Elisabeth den langen und intensiven Austauschprozess mit Matthias Kaul. „Matthias reagierte musikalisch gerne zusammenhangslos auf Lieblingspassagen, jeder Vermittlungsgedanke war ihm suspekt“, beschreibt Torsten Schütte die Arbeitsweise des engen Wegbegleiters der Theaterwerkstatt Pilkentafel.
Die Dramaturgie des Abends korrespondiert dabei mit der Art und Weise wie Matthias las: Nicht chronologisch und zusammenhängend, sondern geleitet von Lieblingspassagen, wobei Elisabeth Bohde den Handlungsablauf für die Zuschauenden durchaus nachvollziehbar aufbaute. „Genau da lagen die Reibungspunkte zwischen Matthias und Elisabeth“, gibt Torsten Einblick in den Entstehungsprozess, als Elisabeth feststellt: „Das war krass im Studio. Das war sehr aufwändig aufzunehmen.“

Die monumentalen Klänge in Kombination mit einer sehr düsteren und bildlichen Darstellung haben eine Art „Überwältigungstheater“ zur Folge, wie Elisabeth es selbst beschreibt.

Sprache eingehüllt in Klang

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