1996
Ist ja nur Pappe
Von und mit
Torsten Schütte (Spiel), Matthias Kaul (Musik), Elisabeth Bohde (Raum und Spielregie)
Vorstellungsdatum, -ort
Juni 1996 in der Tafelhalle Nürnberg
Vorstellungsdauer
25-50 Minuten
Vorstellungszeitraum
1996-2013
Zahl der Vorstellungen
150
Fakten
„Überall reagierten die Kinder mit großer Ehrfurcht auf die Pappe, in Indien machten sie sie kaputt, sobald sie sie in die Hände bekamen.“
Reiseeindruck
Trailer
Diese rein auf Improvisation und dem Umgang mit dem Material Pappe beruhende Arbeit der Theaterwerkstatt Pilkentafel tourt weltweit, spielt in Indien teilweise vor bis zu 1000 Kindern und ist auch eine künstlerische Erforschung von Publikumsreaktionen an verschiedensten Orten der Welt. Im Zentrum der Arbeit steht − angelehnt an den Werkstatt-Begriff − die Erforschung des Materials Papier.
Ausgehend von der Vergänglichkeit des Papiers, von den Klängen, die mit dem Papier erzeugt werden können und den dadurch entstehenden theatralen Augenblicken, werden die Zuschauenden auch mit dem Thema der Sterblichkeit konfrontiert.
Die Kostbarkeit des Augenblicks
Vorgänge erforschen
Die Theaterwerkstatt Pilkentafel bezeichnet diese Produktion selbst als Musik-Theater: „…immer entstehen Klänge, immer entstehen Bilder. Die Klangproduktion ist Bewegung. Die Bewegung ist Klang. Jede Berührung verändert das Material unwiederbringlich. Jeder Klang vergeht. Nur die Gegenwart zählt.“ (Homepage Theaterwerkstatt Pilkentafel)
Der forschende Ansatz der Theaterwerkstatt Pilkentafel ist in dieser Arbeit konsequent für das Publikum erfahrbar. Uwe Schade beschreibt diese Arbeitsweise in einem Interview wie folgt: „Elisabeth und Torsten sind mit Matthias Kaul durch eine intensive Schule gegangen. Die Art und Weise wie wir unter verschiedensten Aspekten Szenen beleuchtet haben, entspricht in vielerlei Hinsicht dem Vorgang des Komponierens.“ Und weiter: „Der Herangehensweise liegt die Überzeugung zu Grunde, dass nicht einfach etwas Musik ist, sondern durch den Hörer zu Musik gemacht wird. Es ist für die Theaterwerkstatt Pilkentafel sehr bezeichnend, dass nicht den Klischees und Werkzeugen der Kunst gefolgt wird, sondern Vorgänge erforscht und erfahrbar gemacht werden.“
Mit ‘Ist ja nur Pappe’ setzt die Theaterwerkstatt Pilkentafel ihre Linie des Objekttheaters fort. Die Rolle der Improvisation, die in den vorangegangen Produktionen wesentliches Element der Stückentwicklung war, wird hier jedoch auf die Spitze getrieben und ist elementarer Bestandteil des Inszenierungskonzepts. Das Publikum kann ab dem ersten Moment den Prozess erleben, in den sich Matthias und Torsten mit dem Material begeben und wird teilweise auch in diesen Prozess einbezogen. So ist tatsächlich alles offen, das gemeinsame Erleben des Augenblicks, der Vorgänge auf der Bühne stehen im Zentrum. Und so erforscht die Theaterwerkstatt Pilkentafel mit dieser Produktion nicht nur das Material Papier, sondern auch das soziale Miteinander, Zuschauerreaktionen in verschiedenen Ländern, den Vorgang des Hörens und das Zusammenspiel von dem Medium Theater und dem Medium Musik.
Einordnung
Eine der ersten Vorstellungen läuft auf einem Festival in der Schaubude Berlin, hier überredet Elisabeth Bohde Matthias Kaul, seine Instrumente zu verlassen, was er zuvor verweigert hatte; die Vorstellung scheitert kläglich. An dem Moment, an dem klar wird, hier ist nichts mehr zu retten, sagt die 4jährige Tochter Lotta laut im Publikum: „Ich will nach Hause!“. Das wollten alle in dem Moment.
Scheitern
Flyer
Fotos
Der Dreiklang Musik - Material - Spiel
Die Reaktionen des Publikums auf den Moment des Zusammenspiels von Musik und Spiel sind grundlegender Ausgangspunkt dieser Produktion. Musik und Spiel werden dabei wie bei den vorangegangenen Arbeiten (z. B. Kistenleben) als gleichwertige Elemente betrachtet – nicht das eine als Begleitung des anderen. „Und so gibt es keinen festgelegten Ablauf, keine Sicherheit, keinen Text, keine Absprachen. Alles entsteht im Moment und nur für den Augenblick, für das jeweilige Publikum. Egal ob Kinder oder Erwachsene. Und es geht in jedem Raum. Egal ob eine Schule in Madras, das Konzerthaus Wien, eine Township-Hall in Johannesburg, Bürgerhäuser in Hannover, Schloss Bellevue in Berlin… es bleibt immer nur Pappe“, heißt es auf der Homepage der Theaterwerkstatt Pilkentafel.
Umsetzung
Der gesamte Raum ist mit den Materialien Papier und Pappe ausgestattet: "als Kostüm oder Verpackung, als Bühnenbild oder Forschungsgegenstand, als Tanzpartner oder Werkzeug. Und immer als Musikinstrument…“ (Homepage Theaterwerkstatt Pilkentafel). Die Art und Anordnung des Materials variiert je nach Vorstellung und ist niemals identisch. Die Kostüme sind neutral gehalten. In der Kritik von dak im Flensburger Tageblatt vom 11.06.1996 wird beschrieben, wie Matthias Kaul mit dem Material spielt; er zeige „daß Pappe und Papier auch auf ganz andere Weise benutzt werden können. Er baut sich ein Schlagzeug aus Schuh- und Gemüsekartons, bläst auf kleinen und großen Papprollen wie auf einer Trompete.“
Nach intensiven Proben und der Auseinandersetzung mit dem Material folgen die Vorstellungen einem strengen Prinzip: Elisabeth Bohde organisiert vor jeder Vorstellung neues Material auf immer andere Weise für die folgende Vorstellung und ordnet es auf der Bühne an. Matthias Kaul beginnt die Vorstellung, und ab da ist alles offen. „Wir mussten lernen, dass es nicht überall auf der Welt selbstverständlich ist, an Papier bzw. Pappe zu kommen. Manchmal suchten wir stundenlang auf Marktplätzen.“ (Elisabeth Bohde) Die Umsetzung wird 2001 mit Federleichte Bauweise für Erwachsene erweitert, die beim Aufbau des Bühnenbildes mit beteiligt werden.