1992

Kistenleben

Es spielen

Torsten Schütte, Armin Suhr (Percussion)

Regie

Elisabeth Bohde

Musik

Matthias Kaul

Bühnenbild+Kostüme

Ensemble

Premierendatum, -ort

März 1992 in der Phänomenta Flensburg

Vorstellungsdauer

45 Minuten

Vorstellungszeitraum

1992-1999

Zahl der Vorstellungen

100

Fakten

Neue Musik und Objekte geben den Ton an

Das Spiel mit Objekten auf gleicher Höhe in Verbindung mit einer die Inszenierung stark strukturierenden Melodie hatte der Theaterwerkstatt Pilkentafel bereits mit Waschtag großen Erfolg beschert - und den Grundstein für eine neue Form des Theaters für Kinder (auch die Allerkleinsten) gelegt. ‘Kistenleben’ liegt ein sehr ähnlicher Ansatz zugrunde, allerdings erhält die Musik hier eine variantenreiche und aktive Rolle: Sie bringt die Objekte buchstäblich zum Klingen bzw. Sprechen. Auch die Qualität der Objekte ist mit Blick auf Waschtag eine gänzlich andere: Standen dort weiche Tücher im Mittelpunkt der Auseinandersetzung, sind es hier kantige und harte Kisten.

Einordnung

Torsten Schütte hatte 1991 begonnen, über die Produktion nachzudenken, ausgelöst durch die Erfahrungen mit Waschtag („Wir stellten fest, dass wir in diesem Bereich am ehesten einen Forschungsgedanken verfolgen konnten“) und der Neugier darauf, welche gemeinsame Ebene mit Kindern im Umgang mit Objekten herzustellen sein könnte. Ausgehend von der eigenen Faszination als Kind für Gegenstände auf dem Küchentisch und von der Beobachtung, dass Kinder Beziehungsgeflechte mit Objekten bauen können, entwickelt Torsten Schütte die Idee für diese Arbeit.

Hintergrund

"Bei einer exklusiven Vorstellung mit zusätzlichem Workshop mit Pädagogikstudierenden kommt es zum Streit: ,Das könnt ihr vor Kindern so nicht zeigen. Das ist viel zu unordentlich und Kinder brauchen Ordnung!' war der Vorwurf. Und das, obwohl am Vormittag wieder einmal begeisterte Kinder das Publikum stellten."

Erinnerung

Flyer

10 Kisten, mit denen sich ein Mann (Torsten Schütte) in einer Phantasiesprache unterhält, sind die Hauptfiguren dieser für junges Publikum konzipierten Inszenierung. Der Mann lebt mit diesen zehn Kisten: „Sie sind seine Familie, sie heißen Willi oder Tante Agathe und zu jeder hat er nicht nur eine besondere Beziehung, sondern spricht mit ihr eine eigene Kistensprache. Die Kisten antworten mit verschiedenen Stimmen: etwa einsaitiger Schubladengeige oder Waldteufel. Und so erleben die Kinder, wie der Mann mit den Kisten was erlebt, einen Tag aus dem Kistenleben eben.“ (Ankündigungstext auf der Homepage der Theaterwerkstatt Pilkentafel)

Wie Kisten leben

Durch das Erforschen der Objekte, der jeweiligen Sprache und der zu den Kisten gehörenden Klänge wird die Einzigartigkeit - die „Individualität“ - der verschiedenen Kisten sinnlich erfahrbar. Wegen selbstherrlichen Umgangs des Mannes verstummen die Kisten schließlich und Willi, die kleinste Kiste ist verschwunden. Durch Bemühungen des Mannes taucht schließlich die kleinste Kiste wieder auf und enthält drei weitere, noch kleinere Kisten. „Es war faszinierend, wie die Kinder auf diese kleinen Kisten reagiert haben. Viele wollten die unbedingt streicheln und mit nach Hause nehmen.“ (Elisabeth Bohde)
Trotz des aufwendigen Bühnenbildes tourt die Produktion deutschlandweit und bleibt fast 10 Jahre im Spielplan der Theaterwerkstatt Pilkentafel.

Das Miteinander erforschen

Der Musiker und Komponist Matthias Kaul, wichtiger Vertreter der Neuen Musik, wird zum langjährigen Begleiter der Theaterwerkstatt Pilkentafel. Durch die Auseinandersetzung mit ihm und seiner Arbeit entsteht eine spezielle und die Theaterwerkstatt Pilkentafel prägende Arbeitsweise: „Als ich Elisabeth und Torsten begegnete, hatten sie bereits eine irre Schulung durch Matthias Kaul hinter sich“, erinnert der Musiker Uwe Schade, späterer Wegbegleiter der Theaterwerkstatt Pilkentafel.

„Die beiden haben eine enorme Kenntnis von der Entstehung der Musik, der Musikgeschichte und hatten sich mit Matthias mit Gesetzmäßigkeiten, Varianten und Gestaltungsmöglichkeiten der Medien Theater und Musik intensiv auseinandergesetzt. Sie hatten jeweils die Arbeitsweisen des anderen Mediums in ihrem eigenen Medium ausprobiert, das schafft eine intensive Grundlage für die Zusammenarbeit.“ Weiter beschreibt Uwe Schade im Gespräch, wie sich Werkstattcharakter und Prozesshaftigkeit in diesem Kontext niederschlagen: „Es geht um die Versenkung, das Eingraben und das Erforschen der Vorgänge.“

Torsten beschreibt die Arbeitsweise wie folgt: „In diesem Stück stellte Matthias die Klangquellen zusammen, von Snearl bis Ring auf Gewindestange. Und Armin bekam Unterricht im Spielen dieser Klanggeber. Matthias hat sein Leben lang alle seine Schlagzeuger-Fähigkeiten in den Dienst gestellt, das die ‘Instrumente‘ ihren Klang entfalten konnten und sein Ohr war neugieriges Außen. Dieses Verhältnis hat er auch Armin versucht, näher zu bringen. Man konnte hören, wann er spielte und wann jemand anderes.“

Zusammenarbeit mit Matthias Kaul

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Presse

Es gelingt der Theaterwerkstatt Pilkentafel auch ohne durchkonstruierte Geschichte, das junge Publikum in seinen Bann zu ziehen. Elisabeth Bohde beschreibt das so: „Beeindruckend war, dass die Kinder immer voraussagen konnten, was Torsten gleich tun würde.“ Diese Aussage unterstreicht auch eine gelingende Annäherung an Vorgänge des Spielens. „So ist KISTENLEBEN ein Theaterstück, das genauso Objekt- wie Musiktheater ist. KISTENLEBEN rückt das Spielen selbst in den Mittelpunkt, seine Lebendigkeit, aber auch seine Abgründe, denn die Kinder wissen, was wir Erwachsenen oft schon vergessen haben, Spielen ist kein Kinderspiel.“ (Ankündigungstext)

Gerhard Breier beschreibt in seiner Kritik (siehe oben) weiter, wie sich Neugier und Interesse der Theaterwerkstatt Pilkentafel und das Bestreben zeigen, den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen: „Doch damit nicht genug: Munter und kreativ kamen die Knirpse nach der Vorstellung der Aufforderung nach, selbst aktiv zu werden, bauten Brücken, Türme und Landschaften, in denen sie herrlich herumtollen konnten.“

Spielen ist kein Kinderspiel

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Text: Kindertheater und Objektarbeit

Objekten Leben einhauchen

Wie bereits bei Waschtag werden Objekte ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und die Elemente Objekt - Musik - Spiel in ein gemeinsames Klingen gebracht.
Im Mittelpunkt des Stücks (und im Zentrum der Bühne) stehen die Kisten, sie sind aus Holz und verschieden groß (Willi beispielsweise 10x10cm, Tante Agathe 90x90cm), an einer Seite offen und lassen sich somit ineinander stapeln. Die bildende Künstlerin Anneliese Overbeck hat die Kisten in eher erdigen Farbtönen gestaltet. Das Kostüm von Torsten Schütte hatte orientalische Züge.

Umsetzung

Auf der Bühne sitzt außerdem auf einem Podest der Schlagzeuger Armin Suhr. Wie bei späteren Inszenierungen (z. B. Ist ja nur Pappe) hat die auf der Bühne gespielte Musik, haben die live produzierten Klänge eine eigenständige Bedeutung: Die Kisten haben individuelle Stimmen, die durch eigens für sie gefundene Klänge auf außergewöhnlichen Instrumenten entstehen. Das Erforschen verschiedener Tonalitäten und Hörvorgänge (wie später bei Die Hörer) ist wichtiger Bestandteil des Inszenierungs- und des Rezeptionsprozesses.

Jede Kiste ein Klang

Durch den teils übergriffigen Umgang des Mannes mit den Kisten wird die Frage gestellt, wie sich der Mensch zu seiner Umgebung positioniert und sich in ihr verhält. Dieses Sujet zieht sich durch zahlreiche Arbeiten der Theaterwerkstatt Pilkentafel (Klytaimnestra, Waschtag, Ist ja nur Pappe, …). Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist das menschliche Spiel, das Elisabeth schon während ihres Studiums in Aix-en-Provence als soziologisches Phänomen untersucht hat.

Spielen

Die Begegnung mit einem besonderen Publikum steht auch bei ‘Kistenleben’ im Vordergrund, die Bereitschaft, sich auf gemeinsame Prozesse einzulassen und weniger im didaktischen, pädagogischen Sinn Inhalte zu vermitteln, als vielmehr nach gemeinsamen Erfahrungsräumen zu suchen. „Bei Erwachsenen und Pädagogen kam diese Produktion nicht so gut an. Die verstanden nicht, dass es nicht um das Verstehen ging“, resümiert Elisabeth.

Doch Abstraktheit und Offenheit, die neu erschlossenen Formen des Erzählens werden vom jungen Publikum bejubelt: „Erstaunlich die nur kurzzeitige Irritation des jungen Publikums, das schon bald seinen Spaß hatte an dem wortlosen aber umso stärker die Phantasie anregenden, gebärdenreichen Spiel. Man muss nicht alles aussprechen“, erklärt Torsten Schütte, der seit einem Jahr mit diesem ‘antipädagogischen’ Stück unterwegs ist. „Einfach gucken, was passiert, nicht immer nur auf die (pädagogische) Botschaft ausgerichtet sein“, meint er, denn zu gucken gebe es eine Menge. Recht hat er: „Kein Hauch von Langeweile im Zuschauerraum, stattdessen Spannung, Spaß und spitzenmäßiges ‘Kinder’-Theater“, schreibt Gerhard Breier in den Kieler Nachrichten am 14. Dezember 1993.

Ein „antipädagogisches Stück“

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