1990

Waschtag

Es spielen

Torsten Schütte, Heike Erlenkämper, Alexandra Koch (ab 1992)

Regie

Elisabeth Bohde

Bühnenbild+Kostüme

Ensemble

Premierendatum, -ort

Januar 1990 in Neubrandenburg

Vorstellungsdauer

35 Minuten

Vorstellungszeitraum

1990-1998

Zahl der Vorstellungen

ca. 500

Fakten

Mit ‘Waschtag’ gelingt der Theaterwerkstatt Pilkentafel (einige Jahre nach der Premiere) der Durchbruch und „eine epochale Innovation im Bereich Kindertheater“ (Henning Fülle). Die Arbeit setzt neue Maßstäbe, indem Elisabeth Bohde und Torsten Schütte ihre künstlerischen Grundhaltungen auf das Theater für junges Publikum übertragen. Sie verzichten auf eine erklärende pädagogische Ebene und die Inszenierung kommt ohne Geschichte aus. Stattdessen eröffnet die Inszenierung einen gemeinsamen Erfahrungsraum für Spieler:innen und Publikum, in dem das Zusammenspiel von Bewegung, Farbe und Musik untersucht wird.
In der Ankündigung heißt es: „Heini und Else hängen Wäsche auf. Sie sind alt und ihre Arbeit ist mühsam. Am Anfang ist alles weiß, die Kostüme, die Wäschestücke. Dann tauchen Farben auf, erst zart, dann immer kräftiger. Jedes Wäschestück hat seine kleine Geschichte, schafft eine Atmosphäre und zieht die beiden in seinen Bann. Sie fangen an zu spielen, werden jünger, verwandeln sich mit den Tüchern in seltsame Wesen und bleiben am Ende doch alt.“ 


Der Durchbruch

Torsten Schütte erinnert sich: „Wir waren unter der Geschichte mit den Kindern verabredet“ und umschreibt damit ein Verständigungsprinzip, dass anders funktioniert und begleitende Erwachsene doch immer wieder verführt, eine Geschichte zu konstruierten: Für sie „ergab sich eine Geschichte, die wir so gar nicht intendiert hatten. Der Lebensrückblick eines Paares, das sich streitet und immer wieder verträgt.“ (Torsten Schütte)

Auch das Ende der Inszenierung wagt sich auf neues Terrain und bricht mit einem bis dahin strikten Tabu: Nachdem die beiden Spieler:innen zuvor Wäsche aufgehängt haben, hängen sie sich schließlich selbst dazu - sie sterben. 

Die Produktion tourt weltweit, ist damit Ausgangspunkt zahlreicher internationaler Gastspiele und Reisen und wird bis 1998 ca. 500mal gespielt. „Wir haben mit diesem Stück die Welt erkundet.“ (Elisabeth Bohde)


Neues Terrain 


Sinnbildlich für den Umgang mit Kindern, für die Arbeitsweise für junges Publikum, steht die später formulierte Aussage der Tochter Anna: „Meine Meinung hatte in Probenprozessen einen großen Stellenwert. Nach Vorstellungen gab es immer eine Feedbackrunde. Bei Gastspielen war ich selbstverständlich dabei und gab mein Feedback gleichberechtigt neben Elisabeth.“ (Bei den Proben zu Das blaue Buch führte Annas Kritik − damals 6jährig − zu einer kompletten Überarbeitung der Inszenierung am Vortag der Premiere.) Anna: „Es ist Elisabeth egal, wer oder was man ist. Entscheidend ist die vertretene Position, sind die Argumente, die man vorbringt.“

Auf Augenhöhe

"Mit dieser Aufzeichnung war ich nicht einverstanden, die Regisseurin hatte einfach nicht verstanden, dass es um die Objekte geht und nicht um die Spieler.“ (Elisabeth Bohde)

Die ZDF-Aufzeichnung

Die Bildsprache der halbstündigen Produktion besteht in erster Linie aus einer minutiösen Choreografie des Wäscheaufhängens. Ausgehend von dem Material Stoff inszeniert Elisabeth Bohde auf Basis der Orchesterfantasie ‘Bilder einer Ausstellung’ von Modest Mussorgsky eine auf die Musik genau abgestimmte Bewegungsabfolge. Die Materialität von Tönen und Rhythmus steht im Vordergrund: „Wir haben das wie einen Text genommen, die Musik.“ (Elisabeth Bohde)

Auf den Ton genau 


Das Publikum blickt in einen mit weißem Bodentuch ausgekleideten Bühnenraum und eine darin seitlich gespannte Wäscheleine. Ein Wäschekorb und die verschiedenen Textilien darin sind neben den Wäscheklammern die einzigen Requisiten. Es gibt keine Lichtwechsel. Zunächst sind die aufgehängten Tücher in weiss gehalten, langsam kommen weitere in den Grundfarben rot, blau und gelb hinzu. 


Der Raum

„Textilien und Musik führen die Choreografie“ 


Die Spieler:innen lassen sich in ihren Bewegungsabläufen von der Musik und dem Material leiten, sie bilden das Skript. Wichtiger als der schauspielerische Ausdruck sind die erzeugten Bilder, das ‘Verhalten‘ des Stoffes, die Objekte im Raum.
 Diese Form der Umsetzung wird ein Charakteristikum der Arbeit der Theaterwerkstatt Pilkentafel. Objekte und Musik bzw. Töne bilden das zu erforschende, zu durchdringende Material.

Forschung

20 Vorstellungen der Inszenierung werden in Hannover in der Reihe ‘Kindertheater des Monats‘ gezeigt, es folgen Gastspiele auf der ganzen Welt, Festivaleinladungen und Preise. Die Einladung zu dem Festival ‘Traumspiele‘‚ und der Traumspiele Preis 1994, der der Theaterwerkstatt eine Aufzeichnung durch das ZDF beschert, sind der Durchbruch und bringen der Theaterwerkstatt Pilkentafel bundesweit und international große Aufmerksamkeit und Anerkennung.



Die verschiedenen Zuschauerreaktionen in den verschiedenen Ländern wecken die Neugier des Teams: „Das Stück bedeutete in verschiedenen Ländern immer was Neues, das war der Zugang zur internationalen Arbeit.“ (Torsten Schütte)

Gastspiele und Festivals

Download

Reisebericht Mexico für ,Fundevogel'

Download

Presse

„Die große Präzision im Umgang mit den Objekten und der Musik schuf eine enorme Freiheit im Spiel“, so Torsten Schütte. Elementar für die Arbeit der Theaterwerkstatt Pilkentafel ist dabei die Annäherung an Gegenstände, die es nicht zu beherrschen gilt, die nicht Beiwerk und Mittel zur virtuosen schauspielerischen Darstellung sind, sondern ‘Mitspieler‘.

In dieser Arbeitsweise findet wie in zahlreichen folgenden Arbeiten das Weltbild von Elisabeth und Torsten Ausdruck, das einen Gegenentwurf zum Anthropozän darstellt: Der Menschheit, die sich die Erde untertan macht. Die Proben sind entsprechend geprägt von einem Erforschen und Durchdringen des Materials: „Wir haben nach dem passenden Stoff zu den verschiedenen Passagen der Musik gesucht. Auch die Farbigkeit musste stimmen und ergab sich aus der musikalischen Vorlage.“ (Elisabeth Bohde)

Im Prozess das Material durchdringen 


Auf Anregung der Tochter Anna („Ihr könnt auch mal was für mich/für Kinder machen“) waren 1987 und 1988 die ersten Arbeiten für ein junges Publikum entstanden: Ein Kinderstück und Das blaue Buch. Bei Gastspielen von Wir werden uns leidenschaftlich lieben und Der Untergang beobachtet Elisabeth, dass ihre Tochter ein großes Interesse an Objekten zeigt und den besten Überblick über die Requisiten hat. Die Kollegin Heike Erlenkämper, die neben Torsten Schütte in dieser Zeit ‘festes‘ Ensemblemitglied der Theaterwerkstatt Pilkentafel ist, bekundet zudem Interesse an der Arbeit mit Tüchern. Dieses Interesse stößt auf Torstens grundsätzliche Begeisterung für Objekte und dem spielerischen Umgang mit ihnen. Elisabeth, die bereits während ihres Studiums in Aix-en-Provence und der gleichzeitigen Tanzausbildung bei Odile DubocBewegungssystematiken erforscht und in zahlreichen Workshops der Trias Raum-Körper-Bewegung nachgeht, führt diese Stränge zusammen.

Hintergrund

Mit ‘Waschtag‘ beginnt die Theaterwerkstatt Pilkentafel eine intensive Phase der Theaterarbeit für Kinder ab 3 Jahren, die neue Wege beschreitet: Inszenierungen für die Allerkleinsten gibt es bisher kaum und auch der künstlerische Ansatz unterscheidet sich stark von anderen Kindertheaterproduktionen dieser Zeit. Der forschende Weltzugang öffnet parallele Universen für Kinder und Spieler:innen; die gemeinsame Neugier steht im Vordergrund. Das Team interessiert nicht die didaktische Aufbereitung von Inhalten und Themen, sondern die künstlerische Erforschung von Objekten und Bewegungen. Dabei gehen sie mit Blick auf bisherige Formen des Kindertheaters auch Wagnisse ein, wie die Ruhe und Konzentration der Inszenierung einerseits und Themen wie Vergänglichkeit und Tod andererseits. 


Die gleichberechtigte Ansprache der Kinder ist selbstverständlich und wird die Theaterwerkstatt Pilkentafel immer wieder in Konflikte mit pädagogischem Personal und Eltern verstricken.

Eine neue Form des Kindertheaters

Flyer

Bitte ausrechnen: 4 + 12

Schreib uns!